Mein Sohn hat sich eine Familie aufgebaut, in der ich keinen Platz habe

Mein Sohn hat sich eine Familie aufgebaut, in der ich keinen Platz habe.

Mein Name ist Heinrich. Ich bin 72 Jahre alt. Ich lebe allein in einem alten Haus am Rande eines kleinen Dorfes, das früher voller Leben war. Hier in diesem Garten rannte mein Sohn barfuß durch das Gras, rief mich, um mit alten Decken Buden zu bauen, und gemeinsam grillten wir Kartoffeln in der Glut und träumten von der Zukunft. Damals glaubte ich, dieses Glück würde ewig währen. Dass ich gebraucht wurde, wichtig war. Doch das Leben geht weiter, und jetzt ist das Haus still. Staub auf dem Wasserkocher, ein Kratzen in der Ecke und ab und zu das Bellen des Nachbarhundes hinter dem Fenster.

Mein Sohn heißt Friedrich. Seine Mutter, meine verstorbene Frau Gisela, hat uns vor fast zehn Jahren verlassen. Danach blieb er die einzige Person, die mir nahestand. Die letzte Verbindung zu einer Vergangenheit, in der es noch Wärme und Sinn gab.

Wir haben ihn mit Liebe und Fürsorge erzogen, aber auch mit Strenge. Ich habe viel gearbeitet, meine Hände kannten keine Ruhe. Gisela war das Herz unseres Hauses, und ich ihre Hände. Ich war nicht immer da, aber wenn es nötig war, war ich es. Dem Beruf verpflichtet, aber zu Hause ein Vater. Ich brachte ihm das Radfahren bei, reparierte seinen ersten VW Käfer, mit dem er zum Studium nach München fuhr. Ich war stolz auf ihn. Immer.

Als Friedrich heiratete, war meine Freude groß. Seine Verlobte, Elke, wirkte zurückhaltend, still. Sie zogen an das andere Ende der Stadt. Ich dachte: Sollen sie ihr Leben leben, etwas Eigenes aufbauen. Und ich würde da sein, um zu helfen, zu unterstützen. Ich hoffte, sie würden mich besuchen, ich könnte meine Enkelkinder hüten, ihnen abends Geschichten vorlesen. Doch nichts verlief, wie ich es mir vorgestellt hatte.

Zuerst wurden die Anrufe kürzer. Dann blieben nur noch Nachrichten zu Feiertagen übrig. Ich kam mehrmals vorbei mit einem Kuchen, Süßigkeiten. Einmal öffnete man mir, doch es hieß, Elke habe Migräne. Ein andermal schlief das Kind. Und beim dritten Mal machte niemand auf. Danach hörte ich auf zu kommen.

Ich machte keine Szene. Ich beschwerte mich nicht. Ich setzte mich und wartete. Ich sagte mir: Sie haben ihre Sorgen, ihre Arbeit, ihre Kinder das wird sich schon geben. Doch die Zeit verging, und ich verstand: In ihrem Leben ist kein Platz für mich. Nicht einmal zum Todestag von Gisela kamen sie. Nur ein kurzer Anruf mehr nicht.

Vor kurzem traf ich Friedrich zufällig auf der Straße. Er hielt seinen Sohn an der Hand, trug Einkaufstüten. Ich rief ihn mein Herz pochte vor Freude. Er drehte sich um, sah mich an wie einen Fremden. Papa, alles gut?, fragte er. Ich nickte. Er tat es auch. Sagte, er habe es eilig. Und ging. So verlief unser Wiedersehen.

Ich ging lange zu Fuß nach Hause. Unterwegs fragte ich mich: Wo habe ich versagt? Warum ist mein eigener Sohn mir fremd geworden? Vielleicht war ich zu streng? Oder zu nachgiebig? Oder bin ich einfach nur lästig geworden mit meinen Erinnerungen, meinem Alter, meinem Schweigen…

Jetzt bin ich meine eigene Familie, mein eigener Halt. Ich mache Tee, lese Giselas Briefe noch einmal, manchmal setze ich mich auf die Bank und sehe den anderen Kindern beim Spielen zu. Die Nachbarin, Hilde, winkt mir manchmal zu. Ich erwidere es mit einem Nicken. So lebe ich.

Ich liebe meinen Sohn noch immer. Mehr als alles. Aber ich erwarte nichts mehr. Vielleicht ist es das Schicksal der Eltern loszulassen. Doch niemand bereitet uns auf den Tag vor, an dem wir überflüssig werden im Leben derer, für die wir gelebt haben.

Und vielleicht ist das die wahre Reife. Nur ist es nicht mehr die des Kindes. Sondern die der Eltern.

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Mein Sohn hat sich eine Familie aufgebaut, in der ich keinen Platz habe